Ein Tag in meinem nepalesischen Leben sieht etwa so aus:
Nach einem kleinen Fruehstueck in unserem Volontaershaus, in dem ich mit zur Zeit sechs anderen Volontaeren wohne, gehe ich durch die Strassen einer Wohnsiedlung zu einer grossen Strasse, wo die Busse fahren. Haltestellen gibt es hier nicht; man kann einen Bus einfach heranwinken. Woher man weiss wohin er faehrt? Aus der Tuer eines jeden Busses haengt ein junger Mann, der den Wartenden im Vorbeifahren in zugenbrecherischer Geschwindigkeit die Ortsteile zuruft, in die der Bus faehrt: "ChawelBouddhaJorpattiChawelBouddhaJorpatti" Sie haben alle ein dickes Buendel Geldscheine in der Hand und kassieren den Fahrpreis beim Aussteigen - umgerechnet 10 Cent.
Langsam habe ich die ertraeglichste Moeglichkeit mit oeffentlichen Verkehrsmitteln von A nach B zu gelangen herausgefunden: Ich nehme ein Tuk-Tuk. Tuk-Tuks sind kleine dreiraedrige von einem Elektromotor betriebene Fahrzeuge. Es passen hoechstens zwoalf Leute rein und anders als bei den Bussen wird es auch nicht mehr gestopft bis man sich kaum noch bewegen kann.
Mit dem Tuk-Tuk fahre ich zu einer Kreuzung, wo die Strasse die Ringroad trifft - Kathmandus pulsierende Hauptverkehrsstrasse, die den Kern dieser riesigen Stadt umgibt und auf der es tagsueber nur langsam vorangeht. Dort steige ich nach kuerzerer oder laengerer Wartezeit in den Shanti Sewa-Schoolbus und werde gleich von den Kindern begruesst, die alle ihre dunkelrote Schuluniform tragen: "Good Morning Juliya!" Waehrdend der ca 40 minuetigen Fahrt fuellt sich der Schulbus immer mehr mit Kindern und jedes findet noch irgendwie einen Sitzplatz; auf dem Schoss eines aelteren Kindes oder auf einer freien Ecke eines Sitzes.
Gegen 10 Uhr beginnt der Unterricht. Vormittags bin ich Englischlehrerin fuer die Klassen drei, vier und fuenf. Der Englischlehrer hat die Schule vor einigen Wochen verlassen.
Nachmittags bin ich Foerderlehrerin. Bisher habe ich gemeinsam mit einem anderen Volontaer Aktivitaeten mit der Extra Class gemacht. Gestern ist mir jedoch klargeworden, dass ich die Extra Class betreffend etwas Grundlegendes aendern muss: Die Kinder haben individuelle, sehr verschiedene Lernschweirigkeiten und muessen also auch individuell gefoerdert werden und das ist am Besten moeglich, wenn ich mich nur einem Kind zuwende. Habe meine Idee der Einzelfoerderung mit den Lehrern besprochen und sie fand Zustimmung. Ich werde also in den naechsten Tagen mit der jeweiligen Klassenlehrerin ueber die Kinder sprechen und schauen, wie ich sie nach meinen Moeglichkeiten foerdern kann.
Gegen 15.45 faehrt der Schulbus zurueck. Die Nachmittage nach der Arbeit verbringen wir Volontaere oft in einem Cafe an der Stupa in Bouddha, unweit von unserem Haus.
Die Stupa ist das heilige Zentrum der Exiltibeter, die nach Nepal gefluechtet sind. Vorallem morgens und abends ziehen die buddhistischen Glaeubigen meditativ ihre Kreise um die Stupa und bringen die Gebetsmuehlen zum Drehen.
Von der grossen weissen Stupa blicken die alles-sehenden Augen des Buddha in alle vier Himmelsrichtungen und ueberall flattern bunte Gebetsfahnen im Wind.
Obwohl die Stupa ringsum von Cafes, Restaurants und kleinen Geschaeften umgeben ist und auch taeglich Touristengruppen herkommen, ist dieser Ort von einem meditativen Frieden durchdrungen, der den buddhistischen Glauben ausmacht.
In unserem Lieblingscafe koennen wir Stunden verbringen, lesend, lachend, in unsere Tagebuecher schreibend.
Zu Abend essen wir meist in Restaurants, manchmal sind wir auch eingeladen, wie zum Beispiel gestern in das Haus einer Shanti-Mitarbeiterin. Dort konnten wir eine Wohnzimmervorstellung traditionellen nepalesichen Tanzes und Musik erleben.
Am Wochenende machen wir oft Ausfluege und meistens auch das was nepalesiche Frauen Tag fuer Tag tun: Wir hocken auf unserer Dachterasse auf dem Boden vor unseren Waschwannen und schrubben unsere Kleidung.
Die Arbeit in der Schule bereitet mir grosse Freude und ich mache mich hochmotiviert an die Unterrichtsvorbereitung.
Ich habe das Gefuehl in meinem Innern ein Schatzkistchen zu haben, in dem all das ist, was ich mir in den vergangenen Jahren meines Lebens angeeignet habe und was mich ausmacht, meine Faehigkeiten und Begabungen. Aus diesem Schatzkistchen kann ich hier so viel schoepfen und schenken. Ich gebe gern daraus und dieses Geben erfuellt mich mit Freude!